Getanzter Protest
Ein Fotoblog von Dieter Hartwig
„Der gelbe Klang“ eröffnet die Ballettfestwoche in München
Wäre es nicht schön, wenn Farben sopranhell oder bassdunkel klingen und Klänge rot, grün und gelb leuchten könnten? Synästhetiker haben – zufalls-, prägungs- und vor allem genetisch bedingt – tatsächlich solche Doppel-Wahrnehmungen. Künstler wie der russische Maler Wassily Kandinsky suchten in den 1910er Jahren über diese sogenannte Synästhesie eine Bereicherung, eine Erneuerung ihrer Kunst. Ein konkretes Beispiel dafür ist Kandinskys Bühnenkomposition „Der gelbe Klang“ von 1912, die jetzt nicht nur mit ihrem Titel, sondern, wie doch anzunehmen, als echte künstlerische Inspiration die drei Uraufführungen des Festwochen-Auftakts des Bayerischen Staatsballetts (im Münchner Nationaltheater) beflügeln sollte
Das Entrée machte Michael Simons „Der gelbe Klang“, eine freie Nachgestaltung des Originals, das übrigens zu Lebzeiten Kandinskys nie aufgeführt wurde. Der Licht- und Bühnendesigner Simon, mit 23 von William Forsythe entdeckt und durch seine Arbeiten für den Ballettrevolutionär vom Tanz infiziert, lässt verschiedene Utensilien und Körperteile über die Bühne tragen: Stühle, eine Lampe, einen Riesenmund, einen Fuß, eine Schaumstoff- Schulter, bis alles in einer Art Atelier untergebracht ist. Die Transporteure hasten emsig und in verqueren Bewegungen durch das vollgerümpelte Areal, räumen es wieder leer. Schleppen Schilder mit aufgemalten Buchstaben herbei. Ein kleines Kind (übernommen aus Kandinskys Text) mit aufgesetztem Riesenbabykopf tippelt fragend - per Off-Stimme - durch diese dann noch mit Weltkugel-Segment und hoch am Bühnenhimmel tanzenden amorphen Farbflächen wirr belebte Szenerie.
Antworten gibt es nicht. Wie Kandinsky von der gegenständlichen Malerei zur Abstraktion überging, so lösen sich hier Körper und Sprache, Hierarchie und sinnvolle Ordnung in ein surreales Bild-Geschehen auf. Was den postmodern geschulten Zuschauer nicht wirklich irritiert. Und Simon, der längst als eigenständiger Performance-Künstler unterwegs ist, hat auch ein paar sehr hübsche Ideen. Zum Beispiel seine hoch oben projizierte dadaistische Uhr, in der statt Zeiger und Zahlen Tänzer agieren (schöne Metapher für Tanz als Kunst in der Zeit), die sich dann in umeinander wirbelnde runde Farbflächen verwandeln, während auf der Bühne Tänzer in weit schwingenden Röcken kreiseln. Oder das ockergelbe dicke Glieder-Männchen, das jetzt alle vorher isolierten Schaumstoff-Körperteile auf sich versammelt hat. Und sehr passend ja auch die farbig-munteren, oft hüpfig Xylophon-durchtränkten Musiknummern von Frank Zappa. Was wirklich stört, ist die fehlende saubere Handwerklichkeit. Das Stück wirkt zu schnell hingeworfen, schludrig, unfertig. Und „innere Erlebnisse“, die Kandinsky ja mit seinem abstrakten Farben-Musik-Bewegungs-Spiel beim Zuschauer auslösen wollte, hatte man schon gar nicht. Man begreift auch nicht so recht, warum Simon, dessen multimediales Arrangement „In the Country of Last Things“ 2007 fürs Staatsballett ja auch nur Fragezeichen hinterließ, abermals auf die Nationaltheaterbühne musste.
Könnerschaft bei den beiden anderen Choreografen. Der Brite Russell Maliphant setzt, wie schon in seinem 2012 im Staatsballett einstudierten „Broken Fall“ (2003), die exquisite Star-Solistin Lucia Lacarra und Partner Marlon Dino ins Zentrum seines Stücks. Ihr Pas de deux, wieder – wie bisher typisch für Maliphant - sehr skulptural gestaltet, entwickelt diesmal jedoch seine Griffe und Hebungen aus kreisendem Bewegungsimpuls. Und in spiraligen Schritten und fortgesetzten Drehungen gehen dann die anderen neun Tänzer pointiert dynamisch weit in den Raum. Fantastisch dabei, was er an neuen verschraubten Bewegungen ausgetüftelt hat. Zu der maßkomponierten Musik des Londoner Szenekünstlers Mukul – soghafte, in Tempo, Dichte und Klangfarbe unterschiedliche Rhythmen – jagen vor allem die Männer wie schlanke Spindeln über die Bühne, wie Irrwisch-Kreisel über den Boden. Was die Knie da aushalten müssen, ist mehr als grenzwertig. Aber das Stück, wenn auch mit Lacarras ausgedehnter Kletterpartie über Arme und Hände der Männer, gute zehn Minuten zu lang, hat Charakter, hat Stil.
Die Kanadierin Aszure Barton, erstmals fürs Staatsballett kreierend, choreografierte für acht Damen und acht Herren. Sie verfügt über ein bewundernswert vielfältiges, zwischen William Forsythes postmoderner Neoklassik und Jiří Kyliáns Moderne harmonisierendes Schrittmaterial. Hat Gefühl für Raum und einen feinen geometrischen Sinn für Gruppenformationen. Zu dem höchst tanzbaren (und Stücktitel gebenden) „Konzert für Violine und Orchester“ von 2012 des jungen Mason Bates flockt die Choreografie in den weißen flatterigen Kleidern und Pyjamas schwungvoll leicht über die Tanzfläche. Apart das Bühnenbild von Burke Brown und Barton mit pointillistischer Wolke auf schwarzem, rotem und blauem Grund. Die Tänzer alle hervorragend in diesem knifflig freien Stil. Auch das Staatsorchester unter Myron Romanul in den drei Stücken engagiert bei der Sache. Nur: auch bei Maliphant und Barton wartete man vergeblich auf die von Kandinskys geforderten „Seelenvibrationen“, die man sich doch von diesem synästhetisch verhießenen Abend erhoffte. Die seelische Erhebung erlebt man letztlich doch eher in einem klassisch romantischen „ballet blanc“. Der Schlussapplaus war denn auch merklich zurückhaltend.
weitere Vorstellungen 27. 4.; 2., 8., 11., 17. 5., jeweils 19 Uhr 30. Gastspiel von Sasha Waltz & Guests mit der Tanzoper „Dido und Aeneas“ am 8. und 9. 4., 19 Uhr 30
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