Schillerndes Monster
Das Wiener Staatsballett zeigt wieder Rudolf Nurejews „Schwanensee“
Funkelndes choreografisch-inszenatorisches Erbe kann auch ordentlich drücken. Natürlich freut es Wien, dass sein aktueller Ballettchef Manuel Legris (seit 2010, Vertrag bis 2017) in seiner Repertoiregestaltung auf Nurejews Vermächtnis zurückgreift. Der Star hatte an der Donau immer einen Job, wie er einmal nonchalant bekannte. Wobei natürlich auch einmal zu diskutieren wäre, ob es tatsächlich seine an Schrittmaterial überfrachteten, dramaturgisch unterschiedlich gelungenen reformierten Klassiker sind, die heute noch interessieren oder ob es doch nicht längst der Mythos des Tanz-Stars und charismatischen Mannes ist, der sein Werk überstrahlt.
Im Fall des nicht zuletzt wegen seiner 89 Vorhänge legendär gewordenen "Schwanensee"-Produktion aus dem Jahr 1964, handelt es sich 50 Jahre später eindeutig um ein zu „erhaltendes“ Erb-Stück. Erhalten allerdings nicht im Sinne von historischer Rekonstruktion sondern vom Weiterführen des Materials, das wertvoll und überzeugend erscheint. Nurejew selbst hat seine Wiener Inszenierung immer wieder verändert. Die Einstudierung nach seinem Tod hatte nicht zuletzt durch eine neue Ausstattung von Jordi Roig einen anderen Charakter. Den Programmzettel des Wiener Staatsballetts vom 16. März 2014, der unter Choreografie Nurejew nach Petipa und Iwanow nennt, könnten wohl weitere Namen ergänzen, darunter auch Erik Bruhn, wie Mitwirkende der Originalfassung gerne erzählen. Inhaltlich aber könnte in erster Linie stehen Konzept - Nurejew. Denn der existenzialistisch grübelnd angelegte Held der Nurejewschen Inszenierung, der in den wogenden Stoff-Fluten (die derzeit nicht so richtig wallen wollen) Opfer seines unrechtmäßigen Liebesschwurs wird, ist der den Abend beherrschende, aktivierte Prinz.
Legris sagte in Interviews, dass er nicht Nurejews Pariser Fassung gewählt hätte sondern sich bewusst an die Wiener halte, allerdings Adaptionen im Einvernehmen mit der Nurejew-Foundation vornehmen werde. Zu gerne hätte man diese Änderungen im Programmheft benannt wiedergefunden. Dass Legris aber ausgerechnet jene Variation im Schwarzen Schwan-Pas de deux im dritten Akt belassen hat, die Nurejew für die damals 45-jährige Margot Fonteyn gestellt hatte und in späteren Jahren gegen die sogenannte international verbindliche getauscht hat, verwundert. Anlässlich der Neueinstudierung, die von Alexander Ingram anfangs sehr trocken dirigiert wurde, sticht zunächst die neue Ausstattung von Luisa Spinatelli ins Auge. Blau und Grün sind die dominierenden Farben aller vier Akte, die Bühne bleibt nahezu leer, die Kostüme von starkem Glanz haben einen orientalischen Einschlag. Spinatelli setzt auf rasche und leichte Verwandlungsmöglichkeit. Die Ausstattung erinnert an jene für eine Tournee-Produktion.
Bekannt ist, dass Manuel Legris tänzerisch viel von Nurejew profitiert hat. Dass dieses Vermögen nicht gleichzusetzen ist, mit der Bewältigung der Einstudierung von großformatigen Inszenierungen verwundert nicht. Vielleicht hat auch dieses Mal Zeit gefehlt, waren die Bühnenproben zu bescheiden und auch sonst noch einiges ungeklärt. Das Ensemble ist in letzter Zeit von zahlreichen Verletzungen geschwächt, hat eben erst eine Dornröschen-Serie von Peter Wright absolviert und ist nun stilistisch mit dem Ballett der Ballette gefordert. Es wurden mit vereinten Kräften Schritte geprobt, die im Fall von Nurejew nie einfach sind, der Inhalt aber blieb samt dem Stil auf der Strecke. Das Schwanen-Ensemble wirkte teils überprobiert, geradezu automatisiert, teils unterprobiert. Die Charaktertänze im dritten Akt zünden noch zu wenig. Dazu kommen Besetzungsprobleme. Bei all der Anerkennung für Vladimir Shishov, der sich nicht schont: Wien hat keinen Danseur noble, der den Nurejewschen Siegfried überzeugend tanzen und spielen kann. Olga Esina, die einzige in Frage kommende Odette, verletzte sich während der Premiere im dritten Akt, hielt aber bis zum Ende durch; ihr stilistisches Fein-Tuning steht noch aus. Über all der wichtigen Detail-Arbeit steht aber stets die Frage: Welcher inszenatorische Grundgedanke trägt die Inszenierung? Die Regie, die auch Statisten betreffen müsste, das Timing, und letztlich Atmosphäre und Stimmung suchte man dieses Mal vergeblich. Insofern ist dieser Schwanensee derzeit für Wien eine Nummer zu groß.
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