Eine kulturelle Reise in Zeiten der Krise
Natalie Broschat bloggt über das 14. L1-danceFest in Budapest
Theaterpädagogik made in Ungarn: „Schneewittchen“ in Budapest für 1000 Kinder
1000 kleine Kinder können ganz schön viel Krach machen. Dass sie auch mucksmäuschenstill sein können, ist eine eher überraschende Erfahrung. Für die Qualität einer Theatervorstellung ist die Lautstärke kleiner Zuschauer ein sensibler Gradmesser, denn deren Reaktionen auf das Bühnengeschehen sind spontan und authentisch – ganz egal, welche Verhaltensmaßregeln man ihnen vorher eingeschärft hat. Kinder haben ein untrügliches Gespür für Stimmigkeit und Timing auf der Bühne. Die Aufführung, von der hier die Rede ist -„Schneewittchen“ mit dem Ungarischen Nationalballett in Budapest - hat diesen Härtetest glänzend bestanden.
Gastgeber Dr. Péter Edvi hat überhaupt kein Problem mit den lautstarken Äußerungen seiner kleinen Gäste – im Gegenteil. Wenn er in seiner Eigenschaft als Präsident des deutsch-österreichisch-ungarischen Vereins „Kinderrettungsdienst“ zweimal im Jahr Grundschulkinder (jüngere Geschwister eingeschlossen) in eine kostenlose Ballettvorstellung in der ungarischen Hauptstadt einlädt, dann weiß er, dass 95 Prozent von ihnen noch nie im Theater waren, geschweige denn ein Ballett gesehen haben. Aber wer weiß, ob diese unverhoffte Begegnung nicht der Beginn einer lebenslangen Liebe werden kann?
Péter Edvi ist einer, der immer im großen Maßstab denkt. Für die traditionelle Theatereinladung zum Ende des diesjährigen ungarischen Schuljahres hat er das Erkan-Theater gemietet – die zweite Spielstätte der Budapester Oper. Das Haus ist längst nicht so schön wie das zu den historischen Sehenswürdigkeiten der Stadt zählende Opernhaus, dafür aber riesengroß: Es fasst 1800 Sitzplätze. Und die werden am frühen Abend von Kindern und Eltern bis zum letzten Platz ausgenutzt.
Das Ungarische Nationalballett tanzt ein Stück aus dem aktuellen Repertoire, und die Inszenierung und Choreografie dieses „Schneewittchens“ stellt Familientauglichkeit weit über choreografische Originalität (Choreografie: Gyula Harangozó Jr.). Dafür ist jedes einzelne Detail so stimmig bedacht, so liebevoll in Szene gesetzt, dass die zweieinhalb Stunden offenbar selbst für kleine Kinder spannend und kurzweilig bleiben. Die Idee der szenischen Umsetzung erweist sich dabei als praktikabler Kunstgriff: Sie kommt als Pop-up-Bilderbuch daher, aus dem die Kulisse sozusagen hervorquillt und in das die böse Stiefmutter/Hexe am Ende einfach wieder hineingestopft wird.
Es gibt eine eigene Ballettmusik (Tibor Kocsák), die - „Peter und der Wolf“ lässt grüßen - den Akteuren eingängige musikalische Motive mit hohem Wiedererkennungswert zuweist. Der Auftritt der sieben Zwerge wird immer durch einen vergnügten Marsch angekündigt, und die Kleinen im Publikum haben das ganz schnell raus. Da wird mitgeklatscht, das werden besondere Kunststückchen (und von denen gibt es viele!) mit Szenenbeifall bedacht, da gibt es spitze Jubelschreie und scharfes Luft-Anhalten vor Schreck. Erstaunlich zu beobachten, wie selbstverständlich der für viele Kinderaugen ungewohnte klassische Spitzentanz „funktioniert“, und wie Pirouetten, Sprünge und dekorative Hebungen zuverlässig Extra-Beifall herausfordern. Auf der Bühne wie im Orchestergraben ließ man sich sichtlich gern anfeuern...
Es gibt bekanntlich viele Versuche, die vielfältigen Schwellen abzubauen, die Klein und Groß am Betreten eines Theaters hindern. Die Budapester Variante ist einfach, großzügig und ziemlich wirkungsvoll.
Noch keine Beiträge
basierend auf den Schlüsselwörtern
Please login to post comments