Carlos Acosta hat die Seite gewechselt
Kubanisches Debüt mit Plastikflaschen
„Yuli“ setzt Carlos Acostas Autobiografie in packende Bilder
Ein Auto fährt über Havannas Prado, darin ein Weltstar: Carlos Acosta auf dem Weg zu einer Bühnenprobe mit Acosta Danza, seiner 2016 gegründeten Kompanie. CUBA prangt auf einer Wand, im Hafen ankert ein vieletagiges Kreuzfahrtschiff, majestätisch thront neben dem Gran Teatro das Capitolio, Kubas Weißes Haus. Im Probensaal fliegen die Tänzerbeine, Acosta aber blättert in einem Album. Yuli steht darauf, eingeklebt sind Zeitungsberichte über den Werdegang und die Erfolge seiner Karriere. Gesammelt hat sie Vater Pedro, der seinen Sohn Yuli nannte, nach dem Kriegsgott Ogún, einem Orisha der Santería-Religion, wie sie abgewandelt einst die Sklaven aus Afrika mitgebracht hatten. Denn noch Pedros Vater war Sklave auf der Plantage der Acostas, was den Familiennamen ergab; Pedro selbst ist Truckfahrer, der das Talent seines Sohnes Carlos erkennt und den störrischen Knaben gewaltsam in die Escuela Nacional zwingt: Er, der Junge Yuli, soll den Bann durchbrechen, der weltweit auf den Schwarzen ruht, soll Tänzer, der erste farbige Romeo werden.
Dies die Ausgangssituation von „Yuli“. Rasch merkt man, dass der Film keine geschönte Hollywood-Romanze über ein glamouröses Tänzerleben ist, vielmehr den Weg eines Jungen aus Havannas armem Vorstadtmilieu nachzeichnet, schonungslos hart, so dicht am prallen Leben wie irgend möglich, auch politisch brisant - und dadurch ungemein bewegend. Acostas 2007 publizierte Autobiografie „Kein Weg zurück“ bot die Grundlage, Regisseurin Icíar Bollaín und ihr Drehbuchautor Paul Laverty fanden den Trick, sie filmisch geschickt umzusetzen. Sie verknüpften die Proben zu einem fiktiven Ballett über Acosta in seiner Kompanie mit Rückblenden der wahren Geschichte, wie aus Yuli der Weltstar wurde.
Und Yuli ist bereits ein Kinderstar: als Breaker auf den Straßen seines Viertels. Fußballer wäre sein Ziel, keinesfalls jedoch will er eine Schwuchtel vom Ballett werden. Vater Pedro fackelt nicht lange, bringt ihn zum Eignungstest an die Escuela Nacional, wo der Knabe trotzig zum Klavierspiel seine Breakdance-Schritte zeigt und dennoch aufgenommen wird. Es folgen Widerspenstigkeit im Unterricht, Flucht aus der Schule, Schwänzen eines Auftritts, Versetzung an ein Ballett-Internat fernab von daheim, dort das traumatische Erlebnis einer Erniedrigung beim Fahnenappell vor der gesamten Schülerschaft.
Das Gastspiel eines Tänzers in „Le Corsaire“ wird zur Initialzündung für Yuli: Allein in platschendem Regen tanzt er sich frei, schleudert seine ganze Wut und Einsamkeit heraus. Die Härte hat sich ausgezahlt, die Züchtigung mit dem Riemen, weil der Junge den Vater, der gerade wegen eines tödlichen, jedoch unverschuldeten Verkehrsunfalls im Gefängnis sitzt, belogen hat.
Dann geht die Karriere steil aufwärts. 1990, während eines Gastaufenthalts in Turin, gewinnt er Gold beim Prix de Lausanne, erhält einen Vertrag ans English National Ballet, wird bald Principal. Die Liebe zur Familie und zu seinem Land lässt ihn, verletzt, heimkehren: Dort will er bleiben, dem Tanz Adieu sagen. Wieder sind es der Vater und, stets an seiner Seite, Pädagogin Chery, die ihn umstimmen. Beim Houston Ballet begründet er seinen Ruf als exzellenter Solist, wechselt 1998 ans Royal Ballet London, wo er endgültig den Tänzerolymp erklimmt - und der erste farbige Romeo wird. Seine weltweiten Preise häufen sich, bis er nach beispielloser Laufbahn zurück nach Havanna zieht.
Hier formiert er die eigene Kompanie und über eine Stiftung die Acosta Dance Academy, die Stipendien auch an Talente aus mittellosen Familien vergibt. Er wolle seinem Land rückerstatten, was er bekommen hat, eine kostenlose Ausbildung, will jene ermutigen, die sich chancenlos glauben. Carlos Acosta, ein Weltstar mit ausgeprägtem sozialen Gewissen.
Das allein unterscheidet den Film von ähnlichen abgelichteten Biografien. „Yuli“ trifft indes mit weiteren Faktoren zielsicher ins Schwarze. Denn Choreografin María Rovira setzt dort, wo das Wort kaum mehr ausreicht, Tanz ein, steigert entscheidende Momente in Yulis Laufbahn durch furiosen Tanz ins Atemberaubende. Dies, außer wenn der Halbwüchsige durch den Regen tobt, in der wohl stärksten Szene des Films, als er den eigenen Vater beim Prügelexzess gestaltet. Enorm schwer sei ihm das gefallen, bekennt Acosta. Getanzt werden alle Sequenzen von der brillanten Kompanie Acosta Danza, Acosta spielt sich selbst, Edilson Manuel Olbera Nuñez ist, unglaublich souverän und charismatisch, der kecke Knirps Yuli, Keyvin Martínez der junge Carlos. Die Paraderolle fällt dem einstigen Tänzer und jetzt hochrangigen Schauspieler Santiago Alfonso zu: Seinen Pedro zwischen inniger Sohnesliebe und brutaler Hartnäckigkeit vergisst man nicht.
Auch wie zwanglos „Yuli“ kubanische Geschichte einbezieht, den Zerfall von Yulis Familie bei Emigration der Großmutter in die USA, die karge „perioda special“ nach Fortfall der Unterstützung durch die selbst fortgefallene Sowjetunion, die massive Fluchtbewegung 1994 nach Miami, die keimende neue Hoffnung - sie machen „Yuli“, wunderbar dicht am Geschehen fotografiert, ohne je in eine hektische Bilderflut auszuarten, zu einem Leuchtturm unter den Tanzfilmen, ebenbürtig dem gegenläufigen „Billy Elliot - I Will Dance“ und wie dieser durch seine Authentizität aufwühlend. Ein Muss für Tanzfans!
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