James Wiltons „Midwinter“: Esaúl Llopis Castelló, Luigi Imperato und Ensemble

Keltische Wintersonnenwende

James Wiltons „Midwinter“ in Osnabrück

Dunkle Rituale, keltische Götter und temporäre Königinnen. Zur Sommersonnendwende taucht die Dance Company Osnabrück ins archaische Unterbewusstsein der Kultur.

Osnabrück, 27/12/2024

Passgenau zur Wintersonnenwende hat im emma- theater der Tanztheaterabend „Midwinter“ von James Wilton das Premierenpublikum begeistert. Dem britischen Choreografen, der 2012 mit Sarah Taylor die James Wilton Dance gegründet hat, gelingt eine fesselnde, energiegeladene Erzählung vom Tod des Winters und der Wiedergeburt der Sonne. Stimmig angetrieben von der archaischen Musik der Nordic-Ritual-Folk-Band „Heilung“ interpretiert er alte keltische Rituale neu.

Die ebenerdige Tanzfläche im emma-theater, dem Kleinen Haus des Theaters Osnabrück, ist mit schwarzer Folie ausgelegt, im Hintergrund beleuchtet eine große Öffnung wie ein Vollmond (Ausstattung: Ella Lechner) das Geschehen. Am Anfang tritt feierlich das Ensemble der Dance Company Osnabrück zu dumpfem Getrommel auf die im Dunkel liegende Bühne. Die je sechs Tänzerinnen und Tänzer sind verschieden erdfarben und mit mittelalterlicher Schürze gewandet. Die Tänzerinnen haben das Haar zu langen Zöpfen geflochten. Ruhig legen alle eine Hand auf die Schulter der anderen, eine eindringliche und sich wiederholende Geste von Vertrauen, Zusammengehörigkeit und Gemeinschaft.

Ein Ritual mit dem Waldgott Cernunn

Der Abend ist ein getragenes Totenritual. Licht fällt auf bleiches Astwerk, das zur Form eines menschlichen Skeletts zusammengelegt ist. Ehrfurchtsvoll werden die Ästchen aufgehoben, und fast zeitlupenartig rückwärts gehend rollt sich die Gruppe eng in Form einer Schnecke zusammen. Als die Musik drängender wird, steigt aus der Mond-Öffnung ein Mann, auf dem Kopf den ausgebleichten Schädel eines Hirschs mit einem Geweih aus dürren Zweigen, den Attributen des keltischen Waldgottes Cernunn. Als Führer in eine andere Welt umtanzt er das Ensemble und heiligt es mit einer Art Weihrauch.

Der Tanz löst sich von seiner Zentriertheit auf den Boden, wird energiegeladen und schneller. In Soli und Duetten recken sich ekstatisch Hände nach oben, ständig wird jemand athletisch in die Luft gestemmt oder hoch in die Gruppe geschleudert, die ihn artistisch auffängt. Auch Liebespaare in diversen geschlechtlichen Konstellationen finden sich, die kraftvoll und leidenschaftlich in extremen körperlichen Verdrehungen umeinander wirbeln.

Kampf und Rhythmus

Später entspinnt sich mit hölzernen Stäben ein dynamischer Kampf jeder gegen jeden. Wie in einem Fechtkampf auf Leben und Tod, wunderbar zum stampfenden Rhythmus der Musik choreographiert, schlägt ein jede*r wuchtig auf die Stäbe der anderen ein. Allen leuchtet die Freude an dem gewaltigen Kräftemessen aus den Augen, während sich im Publikum die Sorge breitmacht, ob das nicht übel enden muss.

Fröhlich in vielen Sprachen schnatternd, hocken dann alle wieder friedlich zusammen und teilen Kuchen miteinander. Dass eine Tänzerin (Marine Sanchez Egasse) auf die darin eingebackene Münze beißt, bestimmt sie zur Königin für einen Tag. In einem langen Solo windet sie sich auf dem Boden, als entpuppte sich ein Insekt, und mit hoch gestreckten Armen formt sie mit ihren Fingern eine Krone über ihrem Haupt. Als Königin fügt sie dann einem Paar (Emelie Söderström und Richard Nagy), das in einem intensiven Duett eine berührende Liebe gestaltet, wie zum Gebet die Hände zusammen. Der Hirschkopf-Mann segnet die Frau, indem er den Abdruck seiner Hand auf ihrem Bauch hinterlässt. Sie fällt in konvulsive Bewegungen, worauf alle ekstatisch jubelnd um die Gebärende springen: Der Winter ist tot, der Frühling wird geboren.

In dem fesselnden Tanzabend aus dem Geist alter keltischer Riten kann man an sich selber die Faszination archaischer Naturreligionen erfahren, die mit ihrem Raunen von einem harmonischen Verhältnis von Natur und Mensch Halt versprechend die Moderne begleiten. Nach einer guten Stunde pausenlos intensiven Tanzes gab es langanhaltenden Jubel, Trampelbeifall und Standing Ovations des Premierenpublikums für das Tanzensemble, das Wiltons extrem physische Bewegungssprache begeisternd umgesetzt hat.

 

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