Träume, Schatten, Motten
Euro-Scene IV: „Onironauta“, „Sphinctérographie/Deface“ und „The long shadow of Alois Brunner“
„Mourn Baby Mourn“ von Katerina Andreou als deutsche Erstaufführung in Leipzig
Verstreut liegen sie da, über die Bühne verteilt, fragmentarisch und zufällig. Ytong-Steine, industriell gefertigter Porenbeton, mit dem sich schnell und passgenau mauern lässt. So baut die französische Tänzerin Katerina Andreou mit diesen Steinen denn auch eine Mauer, ein Kraftakt, bei dem das Scharren der Steine übereinander noch einmal akustisch verstärkt wird. Das ist hier echte Arbeit und zugleich allegorisch, denn irgendwann einmal wurden diese Mauern, die bald als Projektionsfläche dienen errichtet.
Andreou spricht nicht, aber lässt die Mauer sprechen: „I am throwing words at the wall“, steht da oder: „Don’t tell anyone. I love tagging walls“. Bewegungen und Musik passen sich dem Geschriebenen an. Oder andersrum. Mal stakst sie in großen Bewegungen über die Bühne, dann rauschen harte Beats durch Raum und Körper, die durch sie hindurch gehen und sie zu Boden drücken. Später führen Theremin-Klänge und Meeresrauschen zu neuer Leichtigkeit, und sie endet schließlich träumend auf ihrer Mauer, während eine 3D-Grafik in der Ästhetik eines frühen 1990er Spiels im Loop über die Wand fährt.
Der Abend ist eine Übung in frustrierender Melancholie. „Ich kann keine neuen Erinnerungen schaffen, aber kann die alten erinnern. Ich stecke fest in den 1990ern.“ Anstatt Monumente zu errichten, will sie diese zerstören, bleibt aber in ihren eigen kreiselnden Gedanken gefangen in diesem Abend, der nun in der Schaubühne Lindenfels in Leipzig erstmalig in Deutschland zu sehen war.
Katerina Andreou, die 2016 für ihr Solo „A life of fierce“ auf dem ImpulsTanz Festival mit dem Jardin d’Europe-Preis ausgezeichnet wurde und dieses Jahr „Bless This Mess“ beim Kunstenfestovaldesarts in Brüssel herausgebracht hat, nimmt hier das Publikum mit in ihre ganz persönliche Trauerhöhle irgendwo zwischen Weltanklage und Weltschmerz. Zu der Perfomance hat sie sogar ein gleichnamiges Buch herausgebracht. Doch so ganz überspringen tut der Funke nicht. Zu ungenau wabernd ist dieser Schmerz, zu künstlerisch überhöht in Wort und Tanz. Der Alpdruck der 45 Minuten findet kaum eine Auflösung trotz optimistischen Schlussbilds. Man bleibt in den Mauern gefangen.
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